
Die zahlreichen Funde zeugen von der Verehrung der Großen Mutter. Eine bildhafte Reise in die Steinzeit
Übersicht
Aus der Zeit des (Jung-)Paläolithikums sind zahlreiche Frauen-Figurinen erhalten geblieben, aber auch Flachreliefs auf Felsblöcken und an holen Wänden zeigen Umrisse von Frauen. Obwohl es bis weit ins Neolithikum Frauendarstellung gibt, widmen wir uns hier speziell den Funden, die als Venus Figurinen bezeichnet werden.
Die Zivilisationen des alten Europas wanderten unterhalb der Gletscher entlang, die zu dieser Zeit einen Großteil der nördlichen Hemisphere bedeckten, und breiteten sich so von den Pyrenäen bis hin nach Sibirien aus. Entlang dieser Routen wurden im letzten Jahrhundert immer wieder Figurinen ausgegraben, die Frauen darstellen.
Die Theorie, was sie darstellen und warum sie erschaffen wurden, gehen weitestgehend auseinander. Sie deuten aber wohl auf die Existenz friedvoller, matrifokaler und Göttin-zentrierter Zivilisationen hin.
Fakten
bis jetzt über 250 bekannte Frauenfigurinen
bestehend aus unterschiedlichen Materialien: Knochen, Mammutstoßzähnen, (Kalk-, Speck-)Stein, Horn, Ton oder Lehm
Größe: 4-25 cm
Fundorte: von Westeuropa bis Sibirien, gefunden in Höhlen und über 90 Ausgrabungstätten
Zeit: ab 35.000 bis ca. 10.000 vor unserer Zeitrechnung (Zeitangaben variieren in Quellen). Ab dann wurden die Darstellungen spezifischer und nicht mehr als Venus Figurinen bezeichnet
Darstellungen von Frauen sind mit 80-90 Prozent am häufigsten – je nach Untergrund. Daneben gibt auch Darstellungen von Tieren und Männern, sowie Figurinen mit Mehrgeschlechtlichkeit
Zeitleiste der Göttin

Die Künstlerin Constance Tippett hat auf goddesstimeline.com eineZeitspanne als Poster erstellt, die einen Überblick über die Figurinenfunde von ca. 30.000 BCE bis ca. 4000BCE gibt. Es gibt noch weitere Poster nur für das Alte Europa, Ägypten und Mesopotamien. .
Benennung
Wenn Paläoanthropologen Figuren als „Venus" bezeichnen, tun sie dies meist in Anführungszeichen, denn Venus-Figuren gehen den Mythen über die Göttin Venus (der Antike) um Tausende von Jahren voraus. Der Name leitet sich zum Teil von Theorien ab, die diese Figuren mit Fruchtbarkeit und Sexualität in Verbindung bringen, zwei Eigenschaften, die mit der römischen Göttin assoziiert werden.
Dr. Kirsten Armbruster ist der Meinung, dass der Begriff an sich Teil des patriarchalen Missbrauchs nackter Frauenkörperlichkeit ist: „Bei den nackten Frauenfigurinen aus dem Paläolithikum geht es um die göttliche Darstellung und Heiligung von nackter Mutterkörperlichkeit im matrifokalen Verständnis, die fokussiert, dass alles menschliche Leben in den Bauchhöhlen der Mütter nabelgebunden ins Leben getragen und geboren wird, egal ob weiblich, männlich, intersexuell oder genderfluid. Die nackten Frauenfigurinen aus dem Paläolithikum stehen also für die Anbindung, die Losbindung und die Rückbindung an die Mutter.“
Archäologen bevorzugen heute meist die Bezeichnung „Frauenstatuetten“.
Funktion
Die Ideen gehen sehr auseinander, was die Funktionen dieser Darstellungen betreffen. Es gibt die Idee, dass diese Darstellungen eher Clan-Mütter von matriifokalen Verbänden darstellten als Göttinnen.
Manche der Figurinen waren klein genug, um sie mit sich herum zu tragen, oder hatten kleine Ösen, um sie aufzufädeln. So könnten sie zum Beispiel als Schutz während der Schwangerschaft und Geburt gedient haben. Oder sie wurden während Zeremonien in der Hand gehalten.
Manche wurden mit rotem Ocker bedeckt, andere waren mit Symbolen verziert, die die Mondzyklen darstellten. Beide deuten auf eine Verbindung zur Menstruation und Fruchtbarkeit hin.
Die These, einige dieser Darstellungen zeugten von pornographischer Natur, lässt sich nicht ausschließen. Doch solche Interpretationen verraten zweifelsohne mehr über die in unserer Gesellschaft dominierenden Denkschemata als über die prähistorischen Menschen, die den Koitus wahrscheinlich als natürlichen Akt begriffen und der Sexualität vielleicht nicht so viel Bedeutung zuschrieben wie es gegenwärtig der Fall ist.
Körperliche Merkmale
Gesichter wurden kaum dargestellt, das Individuum rückte laut der Forscherin Marylène Patou-Mathis in den Hintergrund. Auch die Beine und Arme wurden kaum dargestellt, vielen fehlen Füße.
Generell werden die Figurinen oft beschrieben als Frauenkörper mit übertriebenen Merkmalen wie ausladenden Brüsten, Bäuchen und Hüften. Manche verwenden auch Bezeichnungen wie hängende Brüste und Bäuche, was auf fortgeschrittenes Alter der Figuren hinweisen soll, und auf Körper, die viele Geburten durchwandert haben.
Manche der Darstellung sind dem Anschein nach schwanger, was Idee zur Theorie gab, sie seien Fruchtbarkeitssymbole. Die Frauen sind stehend oder sitzend dargestellt.
Grafische Darstellungen
Je nach Region und Kultur gibt es Unterschiede hinsichtlich der grafischen Merkmale. Dennoch ist es bemerkenswert, dass die KünstlerInnen oft 30.000 Jahre und tausende Kilometer entfernt voneinander so ähnliche Werke erschufen, die so viele Ähnlichkeiten miteinander teilen.
Um 15000 v. Chr. kam es zu einer wichtigen Veränderung: die weiblichen Umrisse wurde nun stilisierter und dynamischer, männliche Figuren kamen hinzu, und die Verbindung von Vulva und Phallus wurden etwas häufiger. Das könnte an einer tiefen Veränderung des Weltbild dieser Gruppen liegen.
Theorie eines Porträts
Professor Leroy McDermott (1996) hatte die Theorie, dass es sich bei den Figuren um eine Frau aus dem Paläolithikum, die so geformt wurde, wie sie sich selbst sieht (wahrscheinlich während der Schwangerschaft).

Sehen wir auf unseren Körper hinunter, stellt er sich uns in einer verzerrten Sicht, der so genannten Rautenperspektive, dar. Die Brüste erscheinen so größer und die Beine sind verkürzt. Die Rautenperspektive verzichtet auf anatomische Genauigkeit zugunsten der individuellen Sichtweise auf den eigenen Körper Es konnte nie verifiziert werden.
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